Angehörige von sogenannten Kammerberufen (z. B. Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Architekten, Ingenieure, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) zahlen in der Regel nicht in die Deutsche Rentenversicherung ein, sondern in das jeweilige berufsständige Versorgungswerk. Im Falle vollständiger Berufsunfähigkeit gibt es hier jedoch einige Dinge zu beachten. In diesem Artikel erläutere ich, wann eine BU Rente Versorgungswerk gezahlt wird und gehe darauf ein, wann eine zusätzliche private Berufsunfähigkeitsversicherung nötig bzw. sinnvoll ist.
Berufsunfähigkeitsrente aus einem berufsständigen Versorgungswerk
Unser ganzer Lebensstandard ist eng verbunden mit unserem Einkommen und selbst Verbraucherschützer (welche ja in aller Regel nicht gerade versicherungsfreundlich sind) raten dir, dieses Risiko möglichst umfassend abzusichern. Für dich bedeutet dies, möglichst immer das komplette Nettoeinkommen bis zum Endalter 67 abzusichern und dabei auf einen guten Inflationsausgleich zu achten. Außerdem wird dir jeder Experte raten, möglichst frühzeitig zu beginnen, da es erstens deutlich günstiger ist und zweitens mit zunehmendem Alter das Risiko steigt, nicht mehr durch die Gesundheitsprüfung einer Versicherung zu kommen.
Im Gegensatz zur Deutschen Rentenversicherung, wo es keine Absicherung im Falle einer Berufsunfähigkeit (sondern nur einer Erwerbsminderung) gibt, ist dies in Versorgungswerken durchaus mit abgesichert. Der Nachteil gegenüber einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung ist jedoch, dass der Begriff BerufsUNFÄHIGKEIT hier durchaus wörtlich zu nehmen ist. Eine Leistung fließt nur dann, wenn du wirklich gar nicht arbeiten kannst, also zu 100 % berufsunfähig bist und nicht in dem Moment, in dem du deine berufliche Tätigkeit nicht mehr ausführen kannst.
Unterschiede zur Berufsunfähigkeit im Versorgungswerk im Vergleich zur privaten BU
Die folgende Tabelle gibt einen kurzen Überblick über die wesentlichen Unterschiede zwischen der Absicherung innerhalb eines berufsständischen Versorgungswerkes und den Leistungen einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung:
Vorteile Bu Rente Versorgungswerk
Die Vorteile einer Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk gegenüber einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung sind (je nach Satzung und Versorgungswerk) einigermaßen überschaubar und konzentrieren sich im Wesentlichen auf die folgenden Punkte:
Keine Gesundheitsprüfung
Die einzige Voraussetzung, um in den Genuss der Absicherung einer Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk zu kommen, ist die Aufnahme in das jeweilige Versorgungswerk selbst. Eine Gesundheitsprüfung analog einer privaten Absicherung findet nicht statt, was bedeutet, dass auch Menschen mit schwereren Vorerkrankungen die „volle“ Absicherung erhalten.
„Kostenlose“ Mitversicherung
Die Absicherung einer Berufsunfähigkeitsrente ist bereits im normalen Beitrag zum Versorgungswerk enthalten. Du musst hierfür also keinen extra Beitrag aufwenden.
Wartezeiten
In den meisten Versorgungswerken gibt es keine Wartezeiten, wie wir sie z. B. aus der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente (36 Monate) über die Deutsche Rentenversicherung kennen. Es gibt jedoch auch Satzungen, in denen Wartezeiten zwischen 3 Monaten (z. B. das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in NRW) und 36 Monaten (z. B. das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg) vorgesehen sind. Spitzenreiter wäre hier das Versorgungswerk der Psychotherapeutenkammer in Schleswig-Hollstein mit einer Wartezeit von ganzen 5 Jahren.
Nachteile einer Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk
Wie du anhand der zuvor gezeigten Tabelle erahnen kannst, gibt es jedoch auch einige Nachteile, wenn du dich auf die Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk verlassen würdest.
Wann bekomme ich überhaupt eine Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorungswerk?
Werfen wir hier zuerst einmal einen kurzen Blick auf die Statistik
Versorgungswerk | Jahr | Anzahl Mitglieder | Empfänger BU-Rente | Quote in % |
Versorgungswerk Ärzte in NRW | 2021 | 60133 | 272 | 0,45 |
Versorgungswerk Rechtsanwälte in NRW | 2022 | 37116 | 294 | 0,79 |
Versorgungswerk Architekten NRW | 2021 | 43532 | 372 | 0,85 |
Versorgungswerk Zahnärzte Westfahlen-Lippe | 2022 | 7908 | 62 | 0,78 |
Versorgungswerk Apotheker Hessen | 2022 | 7491 | 62 | 0,83 |
Ingenieurs-Bau und Psychotherapeuten Bayern | 2021 | 12018 | 33 | 0,27 |
Die zuvor gezeigte Tabelle ist nur ein kleiner beispielhafter Auszug aus einigen einzelnen Versorgungswerken und die Liste könnte beliebig fortgeführt werden. Vielleicht sei an dieser Stelle erwähnt, dass das durchschnittliche Risiko eines Akademikers tatsächlich berufsunfähig zu werden, bei ca. 20 % liegt.
Als Grund für die niedrige Quote an Leistungsbeziehern im Bereich Berufsunfähigkeitsrente aus Versorgungswerken kann man wohl die hohen Eingangshürden für einen Eintritt ins Versorgungswerk nennen. Aufgrund der fehlenden Gesundheitsprüfung zahlt die berufsständische Versorgung nur bei einer „absoluten Existenzvernichtung“ (Zitat vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden Württemberg). Konkret bedeutet dies, dass die Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk immer nur dann bezahlt wird, wenn du zu 100 % berufsunfähig bist und i. d. R. deine Approbation (als Arzt) oder deine Zulassung (als Anwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) zurückgibst. In der Satzung des Versorgungswerkes bayrischer Steuerberater steht beispielsweise der folgende Passus:
Auch gibt es mittlerweile eine Vielzahl von gerichtlichen Urteilen aus der Leistungspraxis, die das restriktive Vorgehen von Versorgungswerken bestätigen.
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit dem Urteil vom 29.01.2016 – OVG 12 B 23.14. Die Leistung wurde abgelehnt für einen Zahnarzt mit Visusschwankungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Zittern in den Händen durch eine subdepressive Verstimmung, atypische Depression und sonstigen somatoformen Störungen. Hier läge eine Berufsunfähigkeit erst dann vor, wenn die Fähigkeit des Mitglieds zur Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen umfassend entfallen ist. Dies würde auch sog. Verweisungstätigkeiten wie gutachterlicher, wissenschaftlich-forschender oder verwaltender Art, die zum Berufsbild des Zahnarztes gehören.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit dem Urteil vom 06.12.2011 – 18 K 918/11. Hier wird in der Begründung angeführt, dass Berufsunfähigkeit für einen Zahnarzt erst anzunehmen sei, wenn dem Mitglied jegliche Tätigkeit, bei der die zahnärztlichen Fähigkeiten genutzt werden können, versagt ist. Der Maßstab zur Beurteilung sei dabei nicht die zuletzt ausgeübte und konkrete Tätigkeit, sondern vielmehr die theoretische Möglichkeit, sich auf jedwede Tätigkeit verweisen zu lassen, bei der die zahnärztlichen Fähigkeiten verwandt werden könnten. Insbesondere wurden hier die Tätigkeiten als angestellter oder freiberuflicher Gutachter (z. B. bei Versicherungsträgern), als Aktengutachter, als Lehrer im Fachkundeunterricht (z. B. für Zahnarzthelfer/innen), zahnärztliche Verbandstätigkeiten oder die Tätigkeit in Forschung und Lehre genannt.
Oberverwaltungsgericht Münster mit dem Urteil vom 14.12.2011 – AVG 17 A395/10. Geklagt hatte ein Rechtsanwalt mit bipolarer affektiver Erkrankung mit leichtgradig ausgeprägter depressiver Symptomatik. Zwar sei der Kläger nicht mehr fähig, in Vollzeit einer anwaltlichen Tätigkeit nachzugehen. Er sei aber den vorliegenden Erkenntnissen nach noch in der Lage, trotz seiner Erkrankung anwaltlich tätig zu sein und aus dieser beruflichen Tätigkeit mehr als nur unwesentliche Einkünfte zu erzielen. Einkünfte sind immer dann unwesentlich, wenn sie unterhalb des Existenzminimums liegen. Die Grenze des Existenzminimums läge in diesem Fall (Kläger lebt mit seiner Frau und zwei Kindern zusammen) bei 697 Euro im Monat.
Rückgabe der Approbation oder Zulassung
Wer die Leistung aus einem berufsständischen Versorgungswerk erhalten möchte, ist satzungsgemäß verpflichtet, seine Zulassung oder Approbation komplett zurückzugeben. Häufig ist ein Verlust der Arbeitskraft jedoch nur für die Dauer von ein paar Jahren. Soll danach die erneute Erteilung der Approbation/ Zulassung beantragt werden, gelten dafür ggf. neue bzw. aktuellere Zulassungsvoraussetzungen. Zusätzlich ist es so, dass wenn du z. B. deinen Fachanwaltstitel nicht verlieren möchtest, du in der Zwischenzeit (also während es dir gesundheitlich nicht allzu gut geht), du deine Fortbildungspflicht nach § 15 FAO erfüllen müsstest.
Verweisung auf andere Tätigkeiten
Als Maßstab zur Beurteilung, ob eine 100%ige Berufsunfähigkeit vorliegt, dient nicht die konkrete, bisher ausgeübte Tätigkeit. Es ist also nicht entscheidend, ob du als Arzt bisher am OP-Tisch gestanden und operiert oder als Anwalt Termine vor Gericht wahrgenommen hast. Vielmehr wird abstrakt und theoretisch geprüft, ob du deine speziellen Fähigkeiten noch in anderer berufstypischer Funktion wirtschaftlich einsetzen könntest. Dazu gehören z. B.
- Journalistische Tätigkeiten
- Verbandstätigkeiten
- Tätigkeiten in Forschung und Lehre
- Tätigkeiten im Labor
- (gutachterliche) Tätigkeiten bei Versicherungen, Versorgungsträgern, beim Medizinischen Dienst oder in der (Pharma-)Industrie
Hier gilt, sobald eine Tätigkeit im existenzsichernden Umfang möglich wäre, sind die 100 % nicht erreicht und du hättest keinen Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk. Wichtig zu erwähnen wäre noch, ob aktuell überhaupt eine konkrete Stelle am Arbeitsmarkt angeboten wird. Es zählt einzig die Tatsache, dass sie theoretisch am Arbeitsmarkt vorhanden ist.
Das Versorgungswerk der Architektenkammer in NRW schreibt hierzu: „Solange ein Mitglied, des Versorgungswerks noch in der Lage ist, irgendeine der berufsspezifischen Aufgaben auszuüben, muss es sich darauf verweisen lassen, wobei eine Teilzeitbeschäftigung ausreicht. Auf die Situation des Arbeitsmarktes bzw. einer Vermittelbarkeit kommt es nicht an. Mit anderen Worten: Es wird vollständige Berufsfähigkeit vorausgesetzt.“
Medizinische Mitwirkungspflichten bei der Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk
In den meisten Satzungen steht geschrieben bzw. wird ausdrücklich verlangt, dass derjenige, der eine Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk beantragt hat oder erhält, sich medizinisch untersuchen lässt. Zudem soll sich die Person einer Heilbehandlung oder Reha-Maßnahme unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass diese Maßnahme die Berufsunfähigkeit beseitigt oder eine drohende Berufsunfähigkeit verhindert und für das Mitglied „zumutbar“ ist. Dies gilt auch für Operationen. Kommst du diesem Verlangen (aus welchen Gründen auch immer) nicht nach, so kann das Versorgungswerk die Berufsunfähigkeitsrente versagen, wenn es zuvor auf die Folgen schriftlich hingewiesen und eine angemessene Frist gesetzt hat.
Keine garantierte Leistung
Satzungen von Versorgungswerken können i. d. R. mit einer 2/3 Mehrheit der Mitglieder jederzeit geändert werden, um sie z. B. an neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen (z. B. Niedrigzinsphase) anzupassen. Gleiches gilt für den Rechnungszins oder hinterlegte Sterbetafeln (als wichtiger Bestandteil der Kalkulation) welche jederzeit einseitig und zu deinem Nachteil angepasst werden können.
Wie hoch ist die Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk?
Die exakte Höhe deiner (100%-)Berufsunfähigkeitsrente kannst du aus deinem jährlichen Bescheid des Versorgungswerkes erkennen. Zur Berechnung dienen unter anderem das Alter bei Eintritt ins jeweilige Versorgungswerk sowie die Dauer und Höhe der eingezahlten Beiträge. In der Praxis bewegen sich die zugesagten Renten (unter der Voraussetzung einer längeren Zahlung des Höchstbeitrages) zwischen 2.000 Euro und 2.800 Euro, wobei der Schutz für Berufseinsteiger meistens deutlich geringer ausfällt.
In der folgenden Grafik findest du die Verteilung tatsächlich gezahlter Renten aus dem Geschäftsbericht der Nordrheinischen Ärzteversorgung (siehe Geschäftsbericht 2021)
Bitte beachte hier, dass es sich hier um eine Brutto-Rente handelt von der noch Steuern und Sozialabgaben.
ACHTUNG:
Wenn du vor Eintritt einer Berufsunfähigkeit in einer gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert warst, wirst du als BU-Rentner zu einem freiwilligen GKV-Mitglied und dies hätte weitreichende finanzielle Folgen für dich. So wird zur Beitragsbemessung in der GKV plötzlich die Hälfte des Einkommens deines Ehegatten herangezogen. In einem konkreten Fall bedeutet dies, dass eine Apothekerin mit einer Berufsunfähigkeitsrente aus einem Versorgungswerk in Höhe von 1.500 Euro, plötzlich 770 Euro monatlichen Krankenkassenbeitrag zu entrichten hatte. Allein deshalb ist eine zusätzliche private Berufsunfähigkeitsversicherung schon sinnvoll und zwingend anzuraten.
Ist eine private Berufsunfähigkeitsversicherung zusätzlich sinnvoll?
In den meisten Fällen führt auch eine weniger gravierende Einschränkung im Bereich der Gesundheit schon dazu, dass eine Berufsausübung nicht mehr möglich oder schlicht nicht zumutbar wäre. So ist es die Regel, dass ein Großteil der Leistungsfälle einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung deutlich unter 100 % Berufsunfähigkeit liegen. Eine zusätzliche private Absicherung ist deswegen unbedingt erforderlich. Diesen Umstand haben mittlerweile auch die Versorgungswerke selbst erkannt und raten (wie im Beispiel des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg) zum Abschluss einer privaten Absicherung:
Fazit
Gestatte uns an dieser Stelle einen kleinen Hinweis. Wir haben die oben beschriebenen Passagen relativ allgemein gehalten. Grund hierfür ist, dass die meisten Satzungen berufsständiger Versorgungswerke sehr ähnlich sind. Bitte schau im Einzelfall aber immer in deine zuständige Satzung oder sprich mit einem Profi explizit für deine konkrete Situation.
Solltest du dir noch immer unsicher sein, ob eine private Berufsunfähigkeitsversicherung für dich wichtig und relevant ist, dann sprich gerne mit uns und vereinbare einen Termin mit einem unserer Spezialisten.